HalleBaumbesetzer im Storck-Wald wappnen sich für die Räumung

Die Aktivisten am Steinhausener Weg erwarten die Polizei. Aber sie erklären, dass sie keinen aktiven Widerstand leisten werden, wenn es so weit kommt. Und dennoch wollen sie es den Einsatzkräften möglichst schwer machen.

Heiko Kaiser

In ein Spinnennetz aus Bäumen können sich die Aktivisten zurückziehen – und dort auch anketten. - © Heiko Kaiser
In ein Spinnennetz aus Bäumen können sich die Aktivisten zurückziehen – und dort auch anketten. © Heiko Kaiser

Halle. Sie waren auf den Zugriff vorbereitet. „Eigentlich hatten wir erwartet, dass sie heute Morgen schon kommen", sagt einer der Aktivisten. Zusammen mit Tobias Rüter von Fridays For Future führt er an diesem Vormittag rund ein Dutzend Besucher durch den Wald. Während hier Rüter über die geplanten Maßnahmen im Zuge der Laibachverlegung informiert, gibt der junge Mann, der sich selbst Joda nennt, einen Einblick in die Welt der Baumbesetzer.

Gleich am Anfang des Waldstücks haben die Besetzer das Hindernis verstärkt. „Spiderweb-Barrikade" heißt das Bauwerk aus Stämmen, Ästen und Schnüren. Es soll Räumungskräften die Durchfahrt unmöglich machen. Mitten in dem Gewirr hockt Dr. Müller-Schwefe, der das Spiderweb mit seiner Präsenz zur lebenden Barriere macht. Auch am Ende des Weges haben die Aktivisten inzwischen ein solches Spinnennetz gebaut. Äste und Stämme bilden hier eine Höhle, in der sich ein Mensch zurückziehen und gegebenenfalls auch anketten kann.

„Respekt vor dieser technischen Leistung", sagt ein Mann um die 50 und blickt ehrfürchtig in die Baumwipfel hinauf. Joda, der sich gerade von dort abgeseilt hat, berichtet, dass man hier mit „hoch professionellen Techniken" klettere. „Es gibt spezielle Trainingscamps. Skill-Shares, wo die Erfahrungen aus anderen Baumebestzungen weitergegeben werden", erklärt Joda.

„Jeder ist hier für sich selbst verantwortlich"

Ob denn alle klettern können, will eine Frau wissen. „Jeder ist hier für sich selbst verantwortlich", sagt Joda. Es gebe Anfänger, die natürlich nicht sofort in die Baumwipfel steigen. Überhaupt verstehe sich die Waldbesetzung nicht als ein geplantes Gruppengeschehen. „Das ist eine autonome Besetzung von einzelnen Individuen ohne strukturellen Zusammenschluss", fachsimpelt Joda im besten Soziologie-Slang. Fragende Gesichter. Dahinter stecken einfach rechtliche Beweggründe. „Wenn es eine Gruppe wäre, gäbe es auch eine Leitung. Und andere hier zu diesen Taten anzuleiten, würde einen massiven Straftatbestand darstellen", erklärt Joda den Besuchern. Baumbesetzer müssen nicht nur im realen Wald sondern auch im Gesetzesdschungel trittsicher sein.

Paul aus Brockhagen hat bereits Räumungen erlebt. - © Heiko Kaiser
Paul aus Brockhagen hat bereits Räumungen erlebt. (© Heiko Kaiser)

Einige der Bäume haben inzwischen Namen bekommen. Lotte und Jule steht in roter Farbe auf den Stämmen zweier Buchen. „Dürfen wir Sie fotografieren?", ruft eine Besucherin in den Baum hinauf, wo eine junge Frau auf ihrer Palette hockt. „Moment", sagt sie, setzt ihre Kapuze auf und zieht das Halstuch bis unter die Nase. Dann dürfen Bilder gemacht werden. Von der Plattform, auf der die Frau sitzt, sind Seile zu mehreren Bäumen gespannt. „Warum?", will eine Besucherin wissen. „Falls bei einer Räumung die Hebebühne kommt, kann der Mensch auf diesen Seilen ausweichen. Und weil die Fahrzeuge so unbeweglich sind, kann es die Aktion um Stunden verzögern", antwortet Joda.

„Vielleicht bekommen wir ja sogar einen Werksausweis"

Tobias Rüter erklärt den Besuchern anschließend, wo der Laibach demnächst verlaufen soll, wo sich die neue Zufahrt befinden wird und welche Bäume weichen müssen. „Dahinten gibt es zwei wunderschöne Eichen, die sollten Sie sich ansehen", sagt Joda der Besuchergruppe. „Die Eichen bleiben erhalten. Sie werden aber auf dem Storck-Betriebsgelände stehen", sagt Tobias Rüter. „Dann sollten wir uns über eine Dauerbesetzung der beiden Bäume unterhalten. Vielleicht bekommen wir ja sogar einen Werksausweis von Storck", sagt einer der Besetzer und lacht.

Das Lachen aber könnte ihm bald schon vergehen. Denn über allen Aktionen und Erklärungen schwebt die Erwartung der baldigen Räumung. „Montagabend hat es bereits ein Treffen gegeben, in dem wir besprochen haben, wie wir uns verhalten werden", sagt ein junger Mann. „Nenn mich einfach Paul", antwortet er nach seinem Namen gefragt. Paul kommt aus Brockhagen und hat bereits einige Räumungen erlebt. Oberstes Prinzip sei es dabei, keinen Widerstand zu leisten. Aus zwei einfachen Gründen. „Alles andere wäre lebensbedrohlich", sagt er. Zudem würde aktiver Widerstand aus einer Ordnungswidrigkeit möglicherweise einen Straftatbestand machen.

So leben die Baumbesetzer von Tag zu Tag. Im Morgengrauen werden sie erneut das Auftauchen der Hundertschaft erwarten. „Wir sind vorbereitet", sagt Joda.

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