HalleStorck-Expansion: Klares Ja der Haller Politik - trotz Sorgen der Bürger

Etwa 150 Bürger verfolgen im OWL Event Center die Entscheidung des Hauptausschusses zur Änderung des Flächennutzungsplanes. Bis auf den Grünen Frank Winter unterstützen alle Politiker das Vorhaben. Die Sorgen der Einwender mindert das nicht.

Nicole Donath

Im OWL Event Center erörtert der Hauptausschuss am Mittwochabend grundlegende Planungsfragen zu Storck. Am Ende fällt die Entscheidung klar für die Erweiterungspläne aus. - © Nicole Donath
Im OWL Event Center erörtert der Hauptausschuss am Mittwochabend grundlegende Planungsfragen zu Storck. Am Ende fällt die Entscheidung klar für die Erweiterungspläne aus. © Nicole Donath

Halle. Es ist kurz vor 21 Uhr, als es am Mittwochabend die erste Pause gibt. Da läuft die Sitzung schon seit knapp vier Stunden und bei allen Beteiligten hat sich nach langen Vorträgen, warmer Luft und gedämpftem Licht Erschöpfung breit gemacht. Erst nach der Pause wird im zweiten Teil Punkt für Punkt über die Eingaben der Träger öffentlicher Belange abgestimmt. Und danach geht es noch um die mehr als 80 Einwendungen der Bürger*innen. Doch zu dem Zeitpunkt haben die meisten das Event Center bereits verlassen. Die entscheidende Abstimmung ist nämlich bereits gelaufen und das Ergebnis eindeutig: Mit zehn Ja-Stimmen von SPD, CDU, Grünen und UWG und nur einer Gegenstimme durch den Grünen Frank Winter haben die Fraktionen dafür votiert, dass das Planverfahren rund um die östliche Erweiterung von Storck weiter voranschreiten soll.

Stadtplaner Dirk Tischmann übernimmt zu Beginn die inhaltlichen Erläuterungen zum Verfahrensstand und zur weiteren Vorgehensweise. Weit über eine Stunde dauern seine Ausführungen. Er betont, dass man noch am Anfang des Planverfahrens stehe. Dann nimmt er Bezug auf grundsätzliche Fragen zum Erweiterungswunsch.

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Kommentar zur Sitzung im Event Center

Tischmann berichtet, dass Storck seine Kapazitäten ausgeschöpft habe und die noch freien Flächen reserviert seien. „Bei einer Nullvariante würde die künftige strategische Ausrichtung komplett am Standort Halle vorbeigehen." Eindringlich wirbt er für den Konzern, der eine „überdurchschnittliche Qualität" habe, und dessen Erweiterungspläne. Der Planer räumt ein, dass der Eingriff „erheblich" sei und es einen „Zielkonflikt" gebe, verweist aber auch darauf, dass Storck insgesamt 120 Hektar Betriebswald habe und es hier um sieben Hek-tar gehe, die überplant würden: „Ein 80 Jahre alter Mischwald übernimmt fraglos alle Funktionen in einem Ökosystem. Aber es gibt Instrumente für einen Ausgleich. Hier wird sogar im Verhältnis 1:1,2 ausgeglichen."

"Als ich klein war, habe ich von Oma nimm2-Bonbons bekommen"

Später geht Dirk Tischmann dann auf das Thema Wasserverbrauch ein und weist dabei jegliche Kritik an der Arbeit des Büros Schmidt & Partner, das die Berechnungen für Storck angestellt hat, zurück: „Das sind Experten, die bereits die Autobahnplanung begleitet haben, die mit den TWO und den Gemeindewerken Steinhagen zusammenarbeiten und sich auf der südwestlichen Seite des Teutos auskennen." Weitere inhaltliche Auseinandersetzungen zu den konträren Gutachten des Büros Schmidt und dem der Naturschutzverbände gibt es an dem Abend nicht. Die sind stattdessen im Umweltausschuss zu erwarten, der allerdings erst am 1. September tagt. Deshalb lassen sich aber Dr. Marc Lörcher, Technischer Direktor, und Prokurist Boris Bödecker, die die Pläne aus Sicht von Storck erörtern, bereits im Hauptausschuss auch zum Thema Wasser ein. Dabei werden erstaunliche Fakten zum Wachstum des Unternehmens am Standort Halle genannt.

„Zwischen 2011 und 2019 ist die Produktionsmenge von Storck um 50 Prozent gewachsen", berichtet Dr. Lörcher. Doch nicht nur das steigert den Wasserverbrauch. Aktuell benötige man rund drei Kubikmeter Wasser pro Tonne hergestellter Süßwaren. „Damit liegen wir im Vergleich zu den Wettbewerbern übrigens sehr gut." Zwischenzeitlich habe man sogar noch weniger benötigt. „Nur, als ich klein war, habe ich von meiner Oma zwei verschiedene nimm2-Bonbons bekommen. Heute gibt es allein 23 Sorten Lachgummi", begründet Marc Lörcher den Mehrbedarf durch erhöhten Aufwand.

2019 habe Storck insgesamt 550.000 Kubikmeter Wasser gebraucht, davon seien 450.000 selber gefördert worden, weitere 100.000 habe man von den TWO dazugekauft, fährt Dr. Lörcher dann fort. „Aktuell haben wir beantragt, weitere 175.000 Kubikmeter Wasser selbst fördern zu dürfen – damit könnten wir also insgesamt 625.000 Kubikmeter selbst fördern." Perspektivisch, so schätzt der Technische Direktor, benötige das Unternehmen etwa 825.000 Kubikmeter.

"Wir sind zuversichtlich, dass wir hiermit Erfolg haben"

Storck sei aber auch darum bemüht, Wege zur Verbrauchsreduzierung zu finden, hält er dieser Zahl entgegen. „Unter anderem läuft seit März eine Versuchsanlage, um geklärtes Abwasser als Kühlmittel in Kälteanlagen zurückzuführen", berichtet Boris Bödecker. Das sei in dem Antrag noch nicht enthalten, weil man sich noch in der Testphase befinde. „Nageln Sie mich auch bitte nicht fest, aber ich kann so viel sagen: Wir sind zuversichtlich, dass wir hiermit Erfolg haben."

Grundsätzlich verweisen die beiden Storck-Vertreter an dem Abend auf die „Fabrik im Grünen" mit allein zwei Hektar Wald nur auf dem Betriebsgelände und unterstreichen den Einsatz des Konzerns für die Natur. „Ich möchte dadurch nichts relativieren", sagt Bödecker. „Der Eingriff bleibt erheblich. Aber wir nehmen die Themen ernst, arbeiten mit Fachbehörden zusammen und sind an ausgewogenen Lösungen interessiert."

Dann wird die Sitzung unterbrochen und die Bürger*innen dürfen ihre Meinung äußern oder Fragen stellen. Sieben oder acht sind es, die zum Mikrofon kommen: „Denkt Storck, dass es Grenzen gibt? Wo liegen die Grenzen des Wachstums generell? Wo sind eigentlich die ganzen anderen Kompensationsflächen für die Stromtrasse, den Bau der A 33, die Flurbereinigung oder den Ravenna-Park? Wo soll der Ausgleich für den Storck-Wald geschaffen werden und wer kontrolliert das? Wie viele Arbeitsplätze entstehen durch die Erweiterung?", sind nur einige der Fragen. Thomas Müller-Schwefe trägt vor, dass pro Tag in NRW zwischen 12 und 16 Hektar Naturflächen pro Tag vernichtet würden – „aber die Erde wächst nicht mehr. Wie soll es weitergehen?"

"Nach drei Hitzesommern kann ich nicht zustimmen"

Auf diese Fragen gibt es an dem Abend keine Antworten. Stattdessen erklären die Fraktionssprecher*innen die Haltung ihrer Parteien. Vieles gleicht sich. Alle loben Storck als „seriösen und verlässlichen Partner". Und sie alle hätten sich die Entscheidung nicht leicht gemacht, in der Summe sei sie jedoch zu verantworten. Allein die Grünen sind gespalten. Bürgermeisterkandidatin Dr. Kirsten Witte, „seit 30 Jahren Grüne aus Überzeugung", räumt ein, dass „viele von unserem Standpunkt enttäuscht sind", aber man wolle bei Storck nicht als Verhinderer dastehen. Außerdem werde man bei den vielen offenen Fragen nicht nachgeben. Frank Winter hingegen erklärt: „Nach drei Hitzesommern kann ich nicht zustimmen. Wir laufen in eine Klimakatastrophe, und das ist vielleicht die letzte Chance." Sein Appell an Storck-Chef Axel Oberwelland, den er einlädt, auf ein Stück Apfelkuchen in seinen Garten zu kommen: „Sorgen Sie für die Versöhnung zwischen Ökologie und Ökonomie."
Mitglieder von „Fridays for Future“ demonstrierten im Hauptausschuss zurückhaltend und leise ihre ablehnende Haltung. - © Nicole Donath
Mitglieder von „Fridays for Future“ demonstrierten im Hauptausschuss zurückhaltend und leise ihre ablehnende Haltung. (© Nicole Donath)

Enttäuscht zeigen sich Fynn Horstmannshoff und seine Mitstreiter von Fridays for Future insbesondere von CDU-Bürgermeisterkandidat Thomas Tappe. „Ja, ich habe gesagt, dass ich hinter Ihnen stehe, Herr Horstmannshoff", räumt der ein. Doch aktuell suchten noch 3.900 junge Menschen einen Ausbildungsplatz, das habe er heute in der Zeitung gelesen, und Unternehmen wie Storck bieten solche Plätze. „Deshalb bin ich bei Ihnen – heute beim Thema Ausbildung. Selbstverständlich wird die CDU geschlossen für Storck stimmen", so Tappe.